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Naraschial Lichtloh - Das Leben einer Draschim

von Oda Plein

Auszug aus dem Buch - Naraschial Lichtloh, das Leben einer Draschim. Wilbur Eisenfaust

30 Augenblicke, nachdem der Bote den Brief ihres Bruders gebracht hatte, tobte Brianni laut fluchend durch ihre Schlafkammer. Sie warf wahrlos Kleidung, Schuhe, Waffen und ihre Schmetterlingssammlung in eine große Reisetruhe. »Dieser elendige, pilzfressende Dummkopf.«
Ein Steinguthumpen flog an meinem Kopf vorbei in die Truhe. »Dieser mickrige, verlauste Schleimer.« Briannis zahllose rote Zöpfe, wirbelten wie Schlangen durch die Luft, während sie nach zwei Büchern griff und zum Wurf ansetzte. »Wer jetzt genau? Dein Bruder oder dein Großvater?« Ich biss seelenruhig in meinen Honigkuchen. Den schweren Wurfgeschossen wich ich geschickt aus. Keine anständige Draschim lässt sich schließlich von Büchern treffen. »Mein Bruder natürlich. Seit einem halben Jahr kein einziges Wort und nun schreibt er mir DAS.« Sie deutete mit der Faust auf den Brief, der neben mir auf dem Bett lag. Ich griff mit klebrigen Fingern nach dem Papier und begann mit vollen Mund vorzulesen. Ich war einfach zu neugierig, um mir die Hände zu waschen, außerdem war ich noch nicht fertig mit essen. » Liebste Schwester« »Ha, das ich nicht lache, er hat keine weitere Schwester. Ist doch klar, dass er in der Klemme steckt und ich ihn mal wieder aus irgendeinem Mist heraus holen muss«, zischte Brianni. Eine Mettwurst landete im hohen Bogen in der Truhe. Ich las weiter, ohne ihr große Aufmerksamkeit zu schenken. » Es wäre nicht schlecht, wenn du uns bald besuchen würdest. Obwohl es mir gut geht und die Ernte des wilden Hopfens gewinnbringend verläuft, haben wir hier ein winziges, kleines Problem. « »Ich bitte dich, dieser angegammelte Pesthauch hat keine Ahnung was wirkliche Probleme sind« zeterte meine Freundin. Sie riss die Gardinen von der Stange und stopfte sie in einem wild zusammen gedrücktem Haufen zu den anderen Sachen. »Vor einem Mond ist Großvater von seiner Reise zurückgekehrt. Was uns ziemlich überrascht hat, wie du dir vorstellen kannst «. Ich las weiter, doch Brianni schnaubte bei den Worten wie ein alter Kutscher mit einer Pferdehaarallergie. »Überraschend nennt er das. Großvater ist vor einem halben Jahr aufgebrochen, um zum Markt nach Cel´var zu gehen und dann war er verschwunden. Wir dachten, er wäre tot und Erian hat es nicht für nötig gehalten mir davon zu berichten, dass er wieder aufgetaucht ist. Vor EINEM Mond, aber ich wusste nichts davon.« Mir war klar, dass es zu diesem Zeitpunkt selbstmörderisch gewesen wäre meine Freundin zu beruhigen. Ich legte den Brief zurück auf das Bett und schaute Brianni fest in die funkelnden braunen Augen. »Ich bin in einer halben Stunde wieder da, dann sollte die Kutsche bereit sein und wir fahren los.« Sie nickte mir mit einem dankbaren Seufzen zu und zog die Gardinen wieder aus der Kiste.  Brianni und ich sind, das sollte ich vielleicht erwähnen, sehr unterschiedlich. Sie ist manchmal ein wenig emotional, während ich von meiner Mutter die steinerne Ruhe der Berge geerbt habe. Während sie wie eine Flamme aussieht, wirke ich eher etwas kühl, mit meinen kurzen, blonden Haaren und den hellblauen Augen. Aber trotz aller Unterschiede sind wir seit vielen Jahren enge Freundinnen. Aus diesem Grund war es für mich klar, dass ich sie auf der Reise in die alte Heimat begleitete. Wir wussten beide nicht, was uns erwartete, denn der Brief gab nur noch Auskunft darüber, dass Briannis Großvater sich seltsam benehmen würde. Dass es wirklich schlimm war, wurde uns klar, als wir in Briannis Heimatdorf aus der Kutsche stiegen. »Die Enkelin von alten Wilbur, ich sag doch, es geht mit ihm zu Ende.« »Sie ist gekommen, als ob das noch was nutzen würde, der ist doch völlig neben dem Humpen.« »Ich habe doch gesagt, dass Brianni kommen wird, um ihn mit in die Stadt zu nehmen. Er braucht eben einen ganz besonderen Heiler.« So wisperten die Leute um uns herum. Ich sollte vermutlich noch darauf aufmerksam machen, dass fünf dieser Lästerer mit gebrochenen Nasen auf dem Dorfplatz landeten. Erst dann konnte ich meine Freundin beruhigen, und in Richtung des Hauses der Familie Eisenfaust ziehen. Nur für den Fall, dass ihr Brianni begegnet, wenn ich nicht in der Nähe bin. Zunächst war ich etwas in Sorge, dass Erian den Göttern bald gegenüber stehen würde, doch Brianni gab ihm zu Begrüßung nur einen festen Faustschlag in den Magen. Er krümmte sich mit einem Grunzen nach vorne, sie grinste und küsste ihn auf die Stirn. »Wo ist er«, fragte sie scharf und ging dann, seinem ausgestrecktem Finger folgend, in die Wohnstube. Ich hatte Wilbur Eisenfaust schon lange nicht mehr gesehen, doch was ich nun erblickte, verschlug mir den Atem. Sein einstmals rotes volles Haar war verschwunden und hatte grauen, zotteligen Strähnen Platz gemacht. Er hatte tiefe Ringe unter den Augen, seine Hände ruhten zitternd in seinem Schoß. Der Schaukelstuhl, in dem er saß, wippte leicht vor und zurück. Er quietschte dabei wie eine verrostete Brunnenkette, was mit einen Schauer über den Rücken jagte. Brianni eilte zu ihm und sank vor seinen Füßen zu Boden. Vorsichtig umschlang sie seine Beine. »Großvater, ich bin hier.« Schlagartig begann Wilbur zu schreien und wild zu zappeln. »Lass mich los du elendiges Strauchwerk, ich bleibe nicht hier. Ich werde dir zeigen, was es heißt einen Zwerg festzuhalten!« Er hob den Arm und ließ ihn auf Briannis Rücken herunter sausen, als würde er eine Axt führen. Zutiefst erschrocken ließ meine Freundin ihren Großvater los und krabbelte einige Meter von ihm weg. Sofort saß er wieder ganz still da und starrte aus dem Fenster, als wäre nichts geschehen. »Tut mir leid Brianni« sagte Erian leise und traurig. Er stand gebeugt im Türrahmen. Mir fiel auf, wie verzweifelt er aussah. »Ich wollte nicht, dass du ihn so siehst. Wir haben alles versucht, um ihm zu helfen. Sogar einen Geistheiler aus der Stadt haben wir kommen lassen. Weder er, noch die anderen haben etwas erreichen können.« Meine Freundin löste langsam ihren fassungslosen Blick von Wilbur. »Aber, was ist denn nur passiert« fragte sie bestürzt. »Wir wissen es nicht genau. Als er hier ankam, war er schon in dieser Verfassung. Manchmal scheint er ganz normal zu sein, aber dann brabbelt er seltsame Sachen vor sich hin.« Wie auf ein Kommando begann der alte Zwerg irre zu kichern. »Ich werde nicht aufgeben, weißt du. Dein Flüstern und deine tückischen Wurzeln werden mich nicht kriegen. Ich werde heimgehen und dann komme ich wieder.  Mit Fackeln. Wir kommen mit Äxten und Hämmern und werden dich auslöschen.« Uns allen wurde kalt ums Herz. Ratlos verweilten wir in Wilburs Zimmer, unfähig eine sinnvolle Entscheidung zu treffen. Doch dann straffte Brianni plötzlich die Schultern. Sie stand auf und ging in die Küche. Fluchend kochte sie eine deftige Suppe. Dann befahl sie ihrem Bruder den Badezuber herzurichten. Ich musste das Holz dafür hacken, diese Arbeitsaufteilung verstehe ich bis heute nicht. Ich vermute, es war als Strafe gedacht. Erian fiel nämlich in den Zuber, was ihm wohl öfter passiert. Als alles vorbereitet war, ging meine Freundin zu Wilbur. »Großvater, es wird Zeit zu baden und danach gibt es deine Lieblingssuppe.« Wilbur spannte sich an, die unsichtbare Axt im Anschlag. »Du verwünschtes Gewächs. Habe ich dich soweit getrieben, dass du mir nun meine liebste Brianni vorgaukelst, damit ich in deine Fallen gehe. Das kannst du vergessen, du gammeliges Bruchstück der Natur. Ich gebe nicht auf, das habe ich dir gleich gesagt. Versuche ruhig noch mal mich in einen verdammten Baum zu verwandeln. Du wirst schon sehen, was du davon hast.« Seine Stimme wurde immer schriller, er kämpfte sich aus dem Schaukelstuhl hoch und ging in Kampfstellung. Brianni stand die ganze Zeit seelenruhig da. Gelassen machte sie zwei schnelle Schritte auf ihn zu, dann schnellte ihre Faust nach vorne. Wie ein gefällter Baum stürzte Wilbur nach hinten und blieb regungslos liegen. »So, jetzt ab mit ihm in den Zuber, er stinkt fürchterlich.« Brianni grinste ihrem Bruder zu und zusammen schleppten wir den alten Zwerg in sein Bad. Briannis praktische Ader führte zumindest dazu, dass Wilbur körperlich wieder aufbaute. Er begann wieder zu essen und reichlich Bier zu trinken. Manchmal schien er sogar geistig etwas klarer zu werden, erkannte uns für kurze Augenblicke. Doch wirklich heilen konnten wir ihn nicht. Nach einigen Wochen spannte Brianni die Pferde vor die Kutsche. Ihr Großvater wurde gefesselt in das Gefährt verladen. Trotzdem verpasste er mir einige blaue Flecke. Sie erklärte uns nicht, was sie im Sinn hatte. Sie nickte uns zu, lächelte kurz und lies dann die Zügel knallen. »Ich werde dafür sorgen, dass er gesund wird, es wird wohl eine Weile dauern. Wartet hier auf mich.« Das war das Letzte, dass wir für 5 Wochen von Brianni hörten und sahen. Als die Kutsche dann endlich auf den Hof rollte, rannten Erian und ich so schnell es ging aus dem Haus. Brianni sah erschöpft aus. Wilbur war blass und ausgezehrt. Doch als er uns erblickte, strahlte er auf. »Bier, hier gibt es Bier, hat die kleine Rothaarige gesagt.« Er zeigte auf seine Tochter und grinste breit. Verwirrt blickten Erian und ich uns an, doch Brianni schnaubte nur, winkte ab und befahl uns, Wilbur in die Küche zu bringen. Erst als die Pferde wieder im Stall, die Kutsche in der Scheune und Wilbur im Bett waren, setzte sie sich zu uns an den Küchentisch. »Wir waren bei den Elben«, begann sie uns ohne Umschweife. Sicher kann sich jeder denken, dass dies für uns eine unfassbare Aussage war und so lachten wir drauf los. Als Briannis nicht einstimmte und ihr Gesicht traurig und ausdruckslos blieb, begriffen wir, dass sie es ernst meinte.  »Das kann nicht dein Ernst sein, kein Draschim lässt sich von Elben behandeln«, stammelte Erian fassungslos. Ich stimmte, mit einem sprachlosen Nicken, ein. »Genau darum habe ich nicht gesagt, wo ich hingehen würde. Sie haben ihm geholfen, wenn auch anders, als ich gehofft hatte.« Sie hob sofort die Hand, damit wir nichts mehr sagen konnten und dann berichtete sie weiter. »Die Elben haben herausgefunden, dass Großvater in einem sehr ungewöhnlichen Wald gewesen sein muss. Ein Wald mit großer Magie und von finsterem Wesen. Sie sagten, dass sein Verstand völlig zerstört wäre und ihm nur das Löschen seiner Erinnerungen noch helfen würde. Sie haben ihn die ganzen vier Wochen auf eine schreckliche Diät gesetzt, ohne Bier….« Das war der Moment, wo mir ein erschrockener Schrei aus der Kehle stieg. »Du hast zugelassen, dass sie ihn foltern?« Brianni nickte nur traurig. »Ich hatte keine Wahl, er war kurz davor wahnsinnig zu werden. Ich war auch einverstanden, dass er Elbenessen zu sich nehmen musste, dass sie ihre Zauber und Tränke angewendet und alle seine Erinnerungen aus ihm rausgepresst haben. All das habe ich zugelassen.« Brianni sprach leise und vorsichtig, als würde sie erwarten, dass wir sie nun ins Exil schicken würden. Gut, für einen Moment habe ich darüber nachgedacht, doch dann schaltete sich Erian ein. »War das denn wirklich nötig?« Brianni nickte verzweifelt. »Kurz nachdem wir aufgebrochen waren, hat er versucht sich umzubringen.« Wir alle schwiegen lange Zeit, dann stand Erian auf. »Gut, dann hast du es richtig gemacht. Hauptsache er kann nun wieder glücklich sein und lebt noch.« Entschlossen trat er zu Brianni und umarmte sie fest. Ich schwöre, das war das einzige Mal, dass meine Freundin jemals geweint hat. Wir blieben noch einige Monate, um Wilbur zu helfen, alles Nötige wieder zu lernen. Er wurde zwar nie wieder der Alte, doch er überlebte. Brianni und Erian fingen an, ihre Sorgen und Freuden miteinander zu teilen. Ich lernte in dieser Zeit übrigens Kalian Wunderstein kennen, nächstes Jahr werden wir heiraten.